Göhrde-Morde
Ein DNA-Beweis und viele offene Fragen
Göhrde-Morde verbreiten Angst und Schrecken
Im Sommer 1989 erschütterten zwei brutale Doppelmorde den niedersächsischen Staatsforst Göhrde bei Lüneburg. Innerhalb von sieben Wochen wurden vier Menschen auf grausame Weise getötet, während der zweite Mord sogar stattfand, als die Polizei nur 800 Meter entfernt Spuren vom ersten Tatort sicherte. Fast drei Jahrzehnte blieben die Göhrde-Morde ungelöst – bis eine DNA-Spur den mutmaßlichen Täter entlarvte: den verstorbenen Friedhofsgärtner Kurt-Werner Wichmann.
Der erste Doppelmord:
Das Ehepaar Ursula und Peter Reinold

Am 21. Mai 1989 fuhren Ursula Reinold (45) und ihr Ehemann Peter Reinold (51) aus Hamburg-Bergedorf zu einem Picknick in die Göhrde. Das Paar suchte vermutlich eine spärlich bewachsene Senke im Jagen 138 auf, um dort ein Sonnenbad zu nehmen oder zu picknicken. Dort trafen sie auf ihren Mörder, der sie umbrachte, aber nicht am Tatort beließ. Der Täter transportierte beide aus der gut zu überschauenden Senke heraus in die Nähe einer größeren Kiefer und versteckte sie dort. Die Opfer waren entkleidet, ob sie sich selbst ausgezogen hatten oder vom Täter entkleidet wurden, blieb unklar.
Nach der Tat entwendete der Mörder den Picknickkorb und die Autoschlüssel des Paares. Mit dem Honda Civic der Opfer flüchtete er aus der Göhrde und stellte den Wagen 300 Meter vom Bahnhof in Winsen an der Luhe ab. Sieben Wochen später, am 12. Juli 1989, entdeckten drei Blaubeersammler die Leichen der Reinolds. Aufgrund der hohen Temperaturen waren die Körper erheblich verwest, mumifiziert und durch Tierfraß größtenteils skelettiert.
Die genaue Todesursache konnte wegen des Zustandes der Leichen nicht geklärt werden. Fest stand jedoch, dass Suizid oder Unfall ausschieden. Aufgrund des Spurenbildes standen Erschießen, Erwürgen und Erschlagen als mögliche Ursachen im Raum. Peter Reinold wies eine Verletzung an seinem Kehlkopf auf, doch konnte nicht festgestellt werden, ob es sich um Strangulationsmerkmale oder um Verletzungen durch futtersuchende Wildschweine handelte.
Der zweite Doppelmord:
Das Liebespaar Warmbier und Köpping

Am 12. Juli 1989, ausgerechnet an dem Tag der Entdeckung der ersten Opfer, fuhren Ingrid Warmbier (46) aus Uelzen und Bernd-Michael Köpping (43) aus Hannover gemeinsam in die Göhrde. Es handelte sich um ein Liebespaar, das sich während einer Kur kennengelernt hatte und anderweitig verheiratet war. Nach dem Mittagessen in Bad Bevensen machten sie einen Ausflug in den Wald.
Sie parkten an einer kleinen Nebenstraße nahe dem Forsthaus Röthen und gingen mehr als zwei Kilometer in den Forst hinein. Dort, im Waldabschnitt Jagen 147, trafen sie auf den Täter, der sie offenbar mit einer Schusswaffe bedrohte und teilweise mit medizinischem Leukoplastband an Händen und Füßen fesselte. Beide mussten sich mit dem Gesicht nach unten hinlegen. Der Täter strangulierte Köpping und tötete ihn von hinten durch Kopfschüsse mit einer Kleinkaliberwaffe vom Kaliber 5,6 Millimeter. Ingrid Warmbier wurde der Schädel zertrümmert und schwere Verletzungen im Brustbereich zugefügt. Ihre Bluse war in Höhe des BHs hochgeschoben und der BH durchschnitten. Beiden Opfern wurde in den Kopf geschossen.
Anschließend entwendete er Köpping eine Polaroid-Sofortbildkamera und die Autoschlüssel seines Toyota Tercel, mit dem er aus der Göhrde flüchtete. Der Täter war noch etwa eine Woche mit diesem Fahrzeug umhergefahren, bevor er es in der Nähe der Diabetes-Klinik in Bad Bevensen abstellte.
Die perfide Dreistigkeit des Täters
Besonders perfide war das Timing des zweiten Mordes: Der Täter schlug zu einer Zeit zu, als die Kriminalpolizei am Fundort der ersten zwei Opfer ihre Ermittlungen aufnahm. Spätere Tests ergaben, dass Schüsse trotz der geringen Entfernung von nur 800 Metern nicht zu hören gewesen sein konnten, weil sowohl der Fundort der Leichen des ersten Doppelmordes als auch der Tatort des zweiten Doppelmordes in Senken lagen. Am 27. Juli 1989 entdeckten Polizeibeamte im Rahmen einer flächendeckenden Spurensuche zufällig die beiden Opfer des zweiten Doppelmordes.
Der DNA-Durchbruch nach 28 Jahren
Ende 2017, 28 Jahre nach den Göhrde-Morden, gelang der Polizei der entscheidende Durchbruch. Die Ermittlungsgruppe Göhrde arbeitete die Akten und vorhandenen Asservate noch einmal auf. Beim Sichten des Beweismaterials wurden Klebefolien ausgewertet, mit denen 1989 Faser-Spuren von den Sitzen der Opfer-Autos gesichert worden waren. Ohne es zu wissen, hatten die Beamten damals auch Hautschuppen mit aufgeklebt – und damit DNA-Spuren.
Mit moderner Technik konnten diese nun ausgewertet werden, und es fand sich die DNA von Kurt-Werner Wichmann. Eine in einem der entwendeten Fahrzeuge der Opfer sichergestellte DNA-Spur konnte eindeutig Wichmann zugeordnet werden. Laut Polizeiangaben handelte es sich dabei um eine neue Spur und nicht um die im Laufe der Jahre immer wieder untersuchten Haare.
Die Unschuldsvermutung bleibt bestehen
Obwohl die DNA-Spuren Kurt-Werner Wichmann mit höchster Wahrscheinlichkeit als Täter der beiden Göhrde-Morde überführen, gilt rein formal weiterhin die Unschuldsvermutung. Wichmann konnte sich zu den Vorwürfen nie äußern, da er am 25. April 1993 in Untersuchungshaft Suizid beging. Er hatte sich in seiner Zelle in Heimsheim mit dem Anstaltsgürtel erhängt, nachdem er wegen eines Verkehrsunfalls bei Heilbronn verhaftet worden war, bei dem Maschinenpistolenteile und Munition in seinem Kofferraum gefunden wurden.
Da gegen Tote nicht ermittelt wird, kann seine Schuld nie vor Gericht bewiesen werden. Somit bleibt er rechtlich gesehen unschuldig, auch wenn die DNA-Beweise wissenschaftlich betrachtet eindeutig sind. Die Polizei bezeichnet ihn daher als „dringend tatverdächtig“ und geht „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ von seiner Täterschaft aus.
Die Mittäter-Theorie: Ungeklärte Fragen
Eine der größten offenen Fragen ist die nach einem Mittäter bei den Göhrde-Morden. Die Polizei geht davon aus, Kurt-Werner Wichmann hatte einen Komplizen aus seinem engen Umfeld. Der wesentliche Anhaltspunkt für eine zweite in den Fall verwickelte Person leitet sich aus dem Umstand ab, dass Kurt-Werner Wichmann mit seinem eigenen Kraftfahrzeug in die Göhrde gefahren war, aber mit dem Fahrzeug der Ermordeten zurückkehrte. Wer den eigenen Wagen von Kurt-Werner Wichmann zurück fuhr, ist bis heute unklar.
In beiden Fällen wurden die Autos der Opfer nach den Taten noch bewegt, das spricht nach Ansicht der Ermittler für mindestens zwei Täter. Medienberichten zufolge soll Wichmann mit seinem Wagen ins Waldgebiet Göhrde gefahren und anschließend mit dem Auto der ersten Opfer geflüchtet sein, während der Komplize Wichmanns Wagen umgeparkt haben könnte.
Bereits 2017 gab es konkrete Hinweise auf einen Mittäter – ein Mann werde als Beschuldigter im Strafverfahren geführt. Dieser spricht aber nicht mit der Polizei und lässt sich von einem Anwalt vertreten. Die Ermittler hoffen noch immer auf seinen Kooperationswillen oder weitere Beweise. Nun soll ein DNA-Treffer ihn überführen.
Das Rätsel der Fahrzeuglogistik
Die These eines Mittäters wird durch die komplizierte Fahrzeuglogistik verstärkt. Beide Opferfahrzeuge wurden nach den Morden an Bahnhöfen abgestellt – der Honda Civic der Reinolds in Winsen an der Luhe, der Toyota Tercel von Köpping in Bad Bevensen. Beide Städte liegen an der Bahnstrecke Lehrte–Hamburg-Harburg. Diese Parallelen veranlassten die Ermittler zu der Annahme, dass es sich um denselben Täter handelte, warfen aber gleichzeitig die Frage auf, wie eine Person allein diese logistische Herausforderung bewältigt haben könnte.
Ein altes Telefonbuch als neue Spur
2022 suchte die Polizei im Rahmen der Ermittlungen nach einem alten Hamburger Telefonbuch von 1989. Dieses sollte den Ermittlern bei der Weiterverfolgung einer Spur helfen, die sie bereits hatten – vermutlich im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Mittäter. Der genaue Hintergrund dieser Suche wurde aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgegeben.
Wahrscheinliche Aufklärung mit offenen Fragen
Die DNA-Übereinstimmung macht Kurt-Werner Wichmann mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Täter der Göhrde-Morde, auch wenn er rechtlich als unschuldig gilt, da er nie durch ein Gericht verurteilt werden konnte. Die vier Opfer, Ursula und Peter Reinold und Ingrid Warmbier und Bernd-Michael Köpping erhielten nach fast drei Jahrzehnten endlich Gerechtigkeit durch die wissenschaftliche Aufklärung ihrer Morde.
Dennoch bleiben wichtige Fragen offen: Hatte Kurt-Werner Wichmann einen Mittäter und warum schweigt dieser bis heute? Steckt hinter den Göhrde-Morden ein noch viel größerer Verbrechenskomplex, der sich über Jahrzehnte und quer durch ganz Deutschland erstreckte?
Die Ermittlungsgruppe Göhrde und die privaten Ermittler arbeiten an genau diesen Fragen. Für die Angehörigen der Getöteten bedeutet die DNA-basierte Aufklärung nach 28 Jahren des Wartens endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Lieben, auch wenn der wahre Täter seine Strafe nie wird antreten müssen und wichtige Fragen unbeantwortet bleiben. Aber noch besteht die Möglichkeit, dass gegen einen Mittäter der Göhrde-Morde Anklage erhoben wird.
Große Probleme bereitet bis heute die Zuordnung der zahlreichen auf dem Grundstück der Wichmanns am Streitmoor 15 aufgefundenen Gegenstände, die vermutlich als Opfer-Trophäen gesammelt wurden.
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